Die Ruhe im osterzgebirgischen Dorf Schönfeld hat buddhistische Mönche angezogen
Tomas Gärtner
Nichts übertönt das Vogelgezwitscher. Höchstens einmal das Geräusch eines einsamen Rasenmähers. „Erholungssuchende, die Ruhe bevorzugen, finden diese in Schönfeld, einem kleinen Ort mit dörflichem Charakter in einem Seitental der Wilden Weißeritz“, verspricht der Text auf der Rückseite der Wanderkarte für das Osterzgebirge. Einst, in den 1920-er Jahren, waren hier bis auf drei Katholiken und sieben „Sonstige“ fast alle evangelisch-lutherische Christen. Das Dorf traf sich in der Kirche.
Die steht auf einer grünen Anhöhe, ihr Turm ist mit Holzschindeln verkleidet. Fast vierhundert Jahre alt ist sie. Heute ist auch dort Ruhe eingezogen. 84 der 234 Dorfbewohner sind Christen, die kleinste Gemeinde im Kirchspiel Frauenstein mit seinen sechs Gotteshäusern.
An einem Sonntag im Monat noch kommt Pfarrer Gerd Trommler von Hermsdorf herüben Den Gottesdienst Feiert er dann in der Regel mit fünf Leuten. Es kommt auch vor, dass niemand erscheint. „Das ist schon schwierig”, sagt er.
Ganz unten, im Tal der Wilden Wießeritz, am äußersten Ende des Dorfes, ist es noch ruhiger. Das aber ist Thich Hanh Tan gerade recht. Der 48-Jährige mit kahl rasiertem Schädel trägt eine safrangelbe Kutte. Er ist Mönch. Vor einem reichlichen Jahr ist er auf dieses leer stehende Gehöft gestoßen, die „Weiße Mühle“, zu DDR-Zeiten Ferienheim, zuletzt Landgasthof. Dessen Benutzer, der das Anwesen noch 2001 renoviert hat, wurde die Ruhe zum Verhängnis. Er ging pleite.
„Auf der Straße fahren maximal zehn Autos am Tag“, sagt Thich Hanh Tan. „Eine friedliche Atmosphäre. Viel positive Energie.” Genau der Ort, den er für sein Buddhistisches Klausurzentrum „Amitayus“ gesucht hat. Nicht zuletzt war die abgelegene Immobilie wohlfeil. Reichlich 15 000 Quadratmeter für 115 000 Euro, dafür reichten die Spenden. „Dazu freundliche Nachbarn.“ Bei denen haben die sieben Mönche und fünf Nonnen sich gleich vorgestellt, als sie im April 2010 einzogen. Manche schauten sehr skeptisch, erinnert sich der Abt.
Auch unter seinen Gemeindemitgliedern habe es zunächst unsichere Fragen gegeben, erzählt Pfarrer Trommler. Deshalb hat er Harald Lamprecht, den Weltanschauungs- und Sektenbeauftragten der evangelischen Landeskirche, um Rat gebeten. Der konnte schnell beruhigen: „Deren Ziel ist nicht, den Leuten den Buddhismus schmackhaft zu machen, sondern in der Abgeschiedenheit den eigenen Glauben zu leben. Deshalb können wir da ganz gelassen sein.“
Ob das Osterzgebirge etwas hat, was Menschen suchen, die Meditation zu ihrem Lebensinhalt machen, fragt sich Manuela Funke. Die junge blonde Frau lebt in Glashütte. Unlängst hat sie in Niederpöbel bei Schmiedeberg vorbeigeschaut. Dort hat sich 1999 „Osho Manjusha“ um die von den Mitgliedern verehrte, aus Hamburg stammende Mahamudra (1944-2006) niedergelassen — ein Ableger der besser unter dem Namen Bhagwan bekannten buddhistischen Religionsgemeinschaft aus dem indischen Poona.
„Das aber sieht mir zu sehr nach Sekte aus“, meint Manuela Funke. Sie selbst ist evangelisch. „Mich interessiert, welche Religion am entspanntesten macht.“ Deshalb ist sie zum Tag der offenen Tür bei den Buddhisten in Schönfeld gekommen. „Bisschen loszulassen, sich nicht zu sehr an Dinge zu klammern und seinen Nächsten zu lieben — das finde ich aber auch im Christentum“, sagt sie.
Das Interesse jedenfalls ist enorm. Außer fast 200 vietnamesischen Buddhisten sind rund 350 Besucher aus der näheren und ferneren Umgebung angereist. Vier Männer kommen die Dorfstraße herauf, sie leben in Schönfeld. „Wir haben uns das angeschaut“, sagt einer von ihnen. „Gut ist doch, dass überhaupt jemand die ‚Weiße Mühle’ übernommen hat.“
Die Mönche, allesamt Vegetarier, ernähren sich von dem, was Dorfbewohner ihnen schenken oder Buddhisten aus anderen Orten schicken. „Das einzige, was wir einkaufen, ist Bau-Material.”, sagt Thich Hanh Tan. Etwas Geld verdient Xiaoqing Gu, eine aus China stammende Nonne, in ihrer Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin.
Wir anderen machen außer Rumsitzen gar nichts“, meint Sherab Lodrö scherzhaft. Mit bürgerlichem Namen heißt der 44-Jährige Frank Sanzenbacher. Den Buddhismus hat er während seines Sinologie- und Vietnamistik-Studiums kennen gelernt.
Rumsitzen – das meint die Meditationspraxis der Mönche. Sie nimmt den größten Teil des Tages ein, der für sie morgens 4 Uhr beginnt und abends halb zehn endet. Dazu sitzen sie mit untergeschlagenen Beinen auf braunen Matten, vor sich heilige Texte auf kleinen Pulten. In Räumen, in denen große goldene Statuen von Buddhas und Bodhisattvas – nach höchster Erkenntnis strebende Wesen – stehen. Auch sonst üben sie sich im Schweigen, gesprochen wird nur das Allernötigste.
Sich fallen lassen in die Leerheit, darum gehe es, sagt Sherab Lodrö. „Wenn man loslässt, ist Gott da.“ Predigt oder missionarische Aktivitäten kennt er nicht. „Religion bedeutet für mich: Komm erst mal mit dir selbst ins Reine, bevor du anderen sagst, was sie tun sollen.“
Quelle: Dresden; 14./15. Mai 2011; S.14